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Stell dir eine Welt vor, in der die brillantesten Ideen – deine Entwürfe, dein Code, deine Geschichten – sofort von gesichtslosen Algorithmen und globalen Technologiegiganten verarbeitet und gewinnbringend genutzt werden. Nein, diese Welt ist keine Science-Fiction. Sie ist bereits Realität, denn genauso werden die großen Large Language Models wie Chat-GPT und Co. entwickelt.
Da KI kreative Prozesse in allen Branchen automatisiert, ist der Schutz der Früchte des menschlichen Intellekts wichtiger denn je. Die globale Industrie für geistiges Eigentum (IP) ist eine bedeutende Wirtschaftskraft. Laut Statista tragen schutzrechtsintensive Branchen direkt zu 45 Prozent des BIP der Europäischen Union (EU) bei. Weitere 90 Prozent der Exporte der Europäischen Union (EU) bestehen aus Produkten, die in schutzrechtsintensiven Branchen hergestellt werden. Der Schutz dieser Rechte ist also alles andere als nur ein nebensächliches Anliegen.
ZOOOM, ein von der EU finanziertes Projekt, wurde 2022 ins Leben gerufen. Dessen Ziel ist es, Unternehmen beim Umgang mit geistigem Eigentum (IP) – einschließlich Urheberrechten, Patenten und Marken – in der Arbeit in offenen und kollaborativen Umgebungen zu verstehen und unterstützen.
Zum Beispiel kann jeder Open-Source-Software (OSS) verwenden und modifizieren. Open Data (OD) sind geteilte Informationen, auf die andere zugreifen und die sie wiederverwenden können. Open Hardware (OH) bezieht sich auf physische Technologieentwürfe, die offen geteilt werden. Zusammen bilden die drei „Os“ OSS, OD und OH ein zunehmend robustes, aber auch komplexes Ökosystem. Und Innovation werden darin oft mit potenziellen Herausforderungen im Bereich des geistigen Eigentums konfrontiert.
Welche Vorteile hat Open Source für Umwelt und Gesellschaft?
Mit der zunehmenden Digitalisierung ist Software zu einem wesentlichen, nahezu unsichtbaren Rückgrat des modernen Lebens geworden – die jedoch oft durch proprietäre Lizenzen künstlich eingeschränkt wird. Im Gegensatz dazu gewährleistet freie und Open-Source-Software eine langfristige Verfügbarkeit, indem sie es jedem ermöglicht, Code zu nutzen, anzupassen und weiterzugeben. Das kann Innovationen vorantreiben, Anwendungen verbessern und das Wissen für zukünftige Generationen bewahren. Und dadurch, dass der Code einsehbar ist, sind Sicherheitsmängel und andere Probleme nachvollziehbar. Damit unterstützt Open Source ein breiteres, widerstandsfähigeres digitales Ökosystem.
Die Umweltbelastung nehmen durch unsere zunehmend digitale Welt massiv zu. Das zeigt sich auch darin, dass sich die CO2-Emissionen des Internets mittlerweile mit denen der Luftfahrtindustrie messen können. Die Ineffizienz von Software spielt dabei eine direkte Rolle.
Software selbst ist zwar immateriell, doch das Programmieren und Ausführen von Software verbraucht Strom – oft mit hohen CO2-Kosten. Die Förderung ökologisch effizienter, frei verfügbarer Software ist ein entscheidender Schritt in Richtung digitaler Nachhaltigkeit, der sowohl den Zugang als auch die Reduzierung der Auswirkungen für kommende Generationen sicherstellt.
Erfahre mehr: Nachhaltige Software: Wie freie Lizenzen zur Ressourcenschonung beitragen
Fair, zugänglich und menschenzentriert
Als die ZOOOM-Initiative ins Leben gerufen wurde, betrat sie eine zunehmend umkämpfte digitale Landschaft. Befürworter:innen von Transparenz und Zusammenarbeit im digitalen Bereich setzen sich seit langem für die Förderung der 3Os ein. Doch trotz jahrzehntelanger Fortschritte dominieren nach wie vor proprietäre Modelle, die von jeweils einem bestimmten Unternehmen entwickelt, besessen und kontrolliert werden. Und die Open-Bewegung wird weiterhin in Frage gestellt.
Mit Unterstützung der Free Software Foundation Europe (FSFE) und eines Netzwerks von Partnern machte sich ZOOOM daran, den Zweck von 3Os direkt zu beweisen. Zwei Jahre lang führte ZOOOM umfangreiche Untersuchungen durch, um zu verstehen, wie (kommerzielle) Open Source Geschäftsmöglichkeiten unterstützt. Daraufhin entwickelte das Team Schulungsmaterialien und organisierten Sensibilisierungskampagnen, um offene Ökosysteme für Unternehmen, Hochschulen und politische Entscheidungsträger:innen zugänglicher zu machen.
Wir sprachen mit Ivo Emanuilov, einem Anwalt für geistiges Eigentum, assoziierter Forscher am Zentrum für IT- und IP-Recht der KU Leuven und einer der führenden Köpfe hinter ZOOOM.
„Die Projektidee entstand aus einem Workshop zu Fragen des geistigen Eigentums bei der kollaborativen Fertigung. Wir wollten herausfinden, warum Unternehmen sich dafür entscheiden, Open-Source-Komponenten zu verwenden oder ihre Produkte unter Open-Source-Lizenzen zu veröffentlichen. Wie können Unternehmen in patentintensiven Branchen Open Source nutzen und davon profitieren?“
Jetzt, da ZOOOM seine Ergebnisse öffentlich zugänglich macht, stellt sich die große Frage: Können offene, kollaborative Prinzipien in einer Zeit, in der Big Tech mehr Einfluss denn je ausübt, wirklich erfolgreich sein?
Wie sieht eine grüne digitale Zukunft aus?
Elektroschrott, CO2-Emissionen durch KI, Wasserverbrauch von Rechenzentren – aktuell scheint die ungezügelte Digitalisierung nicht mit einem gesunden Planeten vereinbar. Doch es gibt viele Lösungen für eine ökologische und faire Digitalisierung – wir haben sie recherchiert:
Die magische Regel zum Schutz des geistigen Eigentums
Die Ergebnisse von ZOOOM haben dazu beigetragen, eine praktische Messgröße für die ideale Rolle von Open Source in der Strategie für geistiges Eigentum eines jeden Unternehmens zu schaffen. Emanuilov glaubt daran, dass es dabei eine magische Regel gibt.
„Vielleicht lässt sich [dies] am besten mit der 80/20-Regel beschreiben: 80 Prozent des geistigen Eigentums eines Unternehmens sind unterstützender Art, d. h. sie unterstützen den Geschäftsbetrieb, sind aber nicht das, was das Unternehmen von seinen Mitbewerbern unterscheidet. Im Gegensatz dazu sind die restlichen 20 Prozent geistiges Eigentum, das ein Unternehmen in der Regel von seinen Mitbewerbern unterscheidet.
Wir plädieren dafür, dass Unternehmen für diese 80 Prozent offene Innovations- und Open-Source-Ansätze anwenden, zum Beispiel durch die Förderung und Unterstützung von Gemeinschaften, und nur für diese 20 Prozent einen „echten“ Schutz des geistigen Eigentums (zum Beispiel in Form von Patenten) anstreben.“
Wie Emanuilov betont, haben sich die Jahre engagierter Arbeit ausgezahlt. Die Einhaltung von Open-Source-Richtlinien wird heute allgemein als wesentlich anerkannt.
„Wir haben jetzt einen international anerkannten Standard für das Open-Source-Compliance-Management in der Lieferkette, OpenChain ISO/IEC 5230. Die zunehmende Übernahme dieses Standards durch große Unternehmen wie Google, Microsoft, IBM, Cisco, Arm und viele andere ist ein Beweis dafür, dass Unternehmen heute ihre Open-Source-Compliance-Programme ernst nehmen.“
Da die Open-Source-Compliance immer mehr an Bedeutung gewinnt und Unternehmen lernen, Offenheit und Schutz strategisch in Einklang zu bringen, scheint die Grundlage für eine offenere technologische Zukunft vielversprechend zu sein. Aber das ist nur ein Teil des Bildes.
Was sind die größten Hindernisse für offene Technologien?
Während Open-Source-Software (OSS) große Fortschritte gemacht hat, deuten die Ergebnisse von ZOOOM darauf hin, dass das breitere Ökosystem der offenen Technologien – insbesondere Open Data und Open Hardware – hinterherhinkt.
Was steht also im Weg?
Das rechtliche Labyrinth
Open-Source-Software hat von jahrzehntelanger, gemeinschaftsbasierter Innovation und einem relativ gut verstandenen Rechtsrahmen profitiert. Internationale Urheberrechtsabkommen wie die Berner Übereinkunft, die das Urheberrecht weltweit harmonisiert, haben zur Harmonisierung der Praktiken beigetragen. Aber wenn es um Daten und Hardware geht, wird es undurchsichtiger. Es gibt keine globale Vereinbarung, die die Rechte für Datenbanken oder Hardware-Designs standardisiert.
„Hardware kann beispielsweise durch Urheberrechte, Geschmacksmusterrechte, Datenbankrechte, Patente, Geschäftsgeheimnisse und vieles mehr geschützt sein.“ Ohne ein gemeinsames Verständnis dafür, was wie geschützt ist, ist die Erstellung offener Lizenzen, die rechtlich fundiert und weltweit durchsetzbar sind, eine Herausforderung.
Das geschäftliche Dilemma
Viele Unternehmen möchten theoretisch zu offenen Ökosystemen beitragen. Aber sie stehen auch unter dem Druck, profitabel zu bleiben. Und sie fragen sich, wie sie zu Open Source beitragen können, ohne sich von großen Technologieunternehmen ausgebeutet zu fühlen, wenn diese ihre Open-Source-Tools nutzen, ohne etwas zurückzugeben. Diese Spannung hat einige Firmen dazu veranlasst, eine Neulizenzierung ihrer Projekte in Betracht zu ziehen – manchmal sogar den Wechsel von offenen zu proprietären Lizenzen.
Doch das ist ein umstrittener Schritt, der oft auf Widerstand in der Open-Source-Community stößt. Emanuilov hofft, dass Folgeprojekte die Arbeit von ZOOOM fortsetzen und Unternehmen dabei helfen, ihr Geschäftsmodell mit einer geeigneten IP-Strategie in Einklang zu bringen.
„Die Neulizenzierung von Projekten, insbesondere wenn die Richtung von freizügig zu proprietär geht, ist nichts, was Open-Source-Communities auf die leichte Schulter nehmen. Und das sollten Unternehmen auch nicht tun“, sagt Emanuilov.
Der regulatorische Aufwand
Als die Open-Source-Lizenzierung entstand, war die Softwareentwicklung noch weitgehend unreguliert. Die wichtigste rechtliche Debatte drehte sich um die Frage, ob Software durch Urheberrechte oder Patente geschützt ist. Infolgedessen konnten sich Organisationen wie die Free Software Foundation und die Open Source Initiative auf Lizenzierungsfragen konzentrieren, einschließlich Kompatibilität und Compliance.
„Diese Zeiten sind lange vorbei. Die Praxis der Softwareentwicklung unterliegt heute einem zunehmenden regulatorischen Druck. Sollten wir unsere Aufmerksamkeit von der traditionellen Urheberrechtslizenzierung auf allgemeinere rechtliche Bedingungen verlagern, die Offenheit und Freiheit begünstigen? Das ist eine sehr schwierige Frage.“
Eines ist jedoch klar. Wenn wir wollen, dass offene Technologien gedeihen, brauchen wir rechtliche, wirtschaftliche und politische Systeme, die sich mit ihnen weiterentwickeln.
Offene Technologie hat den „Krieg“ gewonnen
Kann Open Technology in einer Zeit, in der Big Tech mehr Einfluss denn je hat, realistisch gesehen mithalten? Laut Emanuilov geht es weniger darum, dass freie und Open-Source-Software mit Big Tech konkurriert, sondern vielmehr um die Zukunft, die wir uns für Open Source wünschen. Big-Tech-Unternehmen wie Microsoft sind vielleicht die größten Open-Source-Champions.“ Nur wenige wissen, dass Microsoft 2018 Project Mu, den UEFI-Kern, der in Surface-Geräten und den neuesten Hyper-V-Versionen verwendet wird, als Open Source freigegeben hat.
„Dies zeigt die dramatischen Veränderungen, die bei großen Technologieunternehmen stattgefunden haben. Open Source hat als vorherrschender Ansatz für die Softwareentwicklung breite Akzeptanz gefunden. In gewisser Weise könnte man also sagen, dass freie und Open-Source-Software den ‚Krieg‘ gewonnen hat.“
Allerdings: Es scheint, als sei KI das neue Schlachtfeld. So umfassen beispielsweise laut Meta die bestehenden Open-Source-Definitionen für Software nicht die Komplexität der sich schnell weiterentwickelnden KI-Modelle von heute.
Emanuilov befürchtet, dass dies erst der Anfang eines neuen Kampfes um die Offenheit und Interoperabilität grundlegender Technologien ist. Und dieser Kampf sollte nicht allein zwischen Technologieunternehmen, die echte Open-Source-Innovationen unterstützen, und einzelnen Entwickler:innen, die Seite an Seite mit Unternehmen arbeiten, geführt werden. Das ist auch eine rechtliche und politische Gestaltungsaufgabe.

Dieser Artikel ist Teil des Dossiers „Digital und grün – Lösungen für eine nachhaltige Digitalisierung“, in dessen Rahmen wir Lösungen für eine ökologische und faire Digitalisierung vorstellen. Wir danken der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) für die Projektförderung!
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