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Tiere essen, ja oder nein?

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30 Jan., 2025

This post was originally published on Good Impact

Fleischkonsum bleibt ein kontroverses Thema. Wir haben Expert:innen mit verschiedensten Perspektiven gefragt – von Jägerin, Philosophin zu Vegan-Aktivist – darf man Tiere noch essen?

JA, aber… „nur Wildfleisch”

Alena Steinbach, Jägerin und Autorin des Kochbuchs „Wild kochen!“

„Ich finde es in Ordnung, wenn Menschen Tiere essen – sofern diese Tiere ein gutes, artgerechtes Leben hatten. Ich komme aus einer Familie von Jäger:innen, bei uns war Fleisch selbstverständlich. Als Jugendliche war ich Vegetarierin. Immer wenn ich im Fernsehen Dokumentationen über Massentierhaltung gesehen habe, ist mir schlecht geworden. Aber irgendwann hat es mir gefehlt, Fleisch zu essen. Für mich gehört es zu einer ausgewogenen, gesunden Ernährung dazu. Mit 19 habe ich den Jagdschein gemacht. Weil ich selber jage, weiß ich das Fleisch anders zu schätzen. Ein Tier zu töten und zu verarbeiten, ist eine außergewöhnliche Erfahrung und ein aufwendiger Prozess. Beides muss man aushalten können. Anders als die Bärchenwurst im Supermarkt ist Wildfleisch auch nicht unbegrenzt verfügbar. Ich möchte die Menschen dafür begeistern und zeigen, dass man Wild auf vielfältige Weise zubereiten kann. Ich denke, dass sich die Menschen mehr Gedanken darüber machen müssen, wo das Essen auf ihrem Teller herkommt. Wäre es Pflicht, in der Schule eine Doku über das Schlachten zu sehen, würde die Mehrheit der Menschen in Deutschland vegetarisch leben, da bin ich mir sicher.“

Nein, denn … „wir im Westen haben die Wahl“

Lisa Kainz, Agrarwissenschaftlerin und Tieraktivistin bei PETA

„Bis zu meinem Studium wusste ich nicht, dass die Kuh nur Milch produziert, wenn sie Nachwuchs zur Welt bringt. Dann war da noch der Besuch im Schlachthof und mir wurde klar: Es gibt keine tierischen Produkte, wo das Tier nicht gelitten hat – egal, ob Bio-Hof oder konventionelle Industrie. Ich lebe seitdem vegan, mein Sohn weitgehend auch. Für mich ist Veganismus kein Verzicht. Es wird immer Menschen auf der Welt geben, die von tierischen Produkten abhängig sind. Wir im Westen haben die Wahl. Was rechtfertigt dann noch, Tiere absichtlich und für wirtschaftliche Zwecke brutal umzubringen? Das deutsche Tierschutzgesetz ist ein Witz. Schuld daran, dass sich nichts ändert, sind vor allem Politik und Lobbyverbände. Tierwohl-Labels sind die reinste Verbrauchertäuschung. Tierwohl ist keine Rechtsfrage oder Meinung, sondern beruht auf Fakten: Die meisten Kühe in der Milchindustrie sind eine Qualzucht, Hühner so hochgezüchtet, dass sie statt 20 Eiern pro Jahr 300 legen, allein in Deutschland töten wir jährlich über 600 Millionen dieser Vögel. Und warum teilen wir Tiere weiterhin in Gruppen ein? Hunde streicheln, Schweine schlachten. Katzenmilch? Wer trinkt denn so was. Diesen Speziesismus bei Tieren sollte man genauso bekämpfen wie Rassismus und Sexismus. Die Menschheit sieht sich immer noch als Nabel der Welt. Dabei tun wir auch etwas für uns, wenn wir uns für Tierwohl einsetzen.“

JA, aber … „nur mit Respekt“

Guido Sprenger, Professor für empirische Ethnologie, Universität Heidelberg

„Es gibt keine einzige Gesellschaft, die keine Tiere tötet. Aber die Menschen gehen unterschiedlich damit um. Während wir im Westen zunehmend Argumente dagegen finden, Tiere zu töten, weil wir ein Bewusstsein bei ihnen vermuten, sind bei vielen indigenen Gesellschaften Respekt und Dankbarkeit gegenüber dem Tier die Voraussetzung dafür, ihm das Leben zu nehmen. Bei den Rmeet in Laos etwa werden Büffel entweder verkauft oder als Opfergabe an die Geister geschlachtet. Die Tiere leben davor frei im Wald. Mit einem neuen Büffel verbringt der Besitzer einen Monat lang jeden Tag, zeigt ihm die besten Stellen zum Weiden. Es entsteht eine enge Beziehung. Viele Rmeet nehmen an, dass Büffel eine Seele haben. Sie sind den Menschen zwar untergeordnet, aber nicht weniger Wert. Hierarchien sind eine Form von Verantwortung, auch für die Tiere. Ihnen kommt viel Liebe und Fürsorge zu. Deshalb dürfen Menschen sie auf Erden opfern und töten. Uns ist durch die Massentierhaltung der Bezug zu diesen Lebewesen verloren gegangen. Veganismus halte ich für einen guten Protest, aber keine Lösung für die Gesamtgesellschaft. Wo bleibt da die Beziehung zu Tieren?“

Nein, denn … „Tiere sind fühlende Wesen“

Peter Hübner, Ex-Metzger, jetzt Anbieter von veganem Fleischersatz

„Meine Großeltern waren Landwirt:innen, mit drei Jahren besuchte ich mein erstes Schlachtfest. Fleisch essen gehörte zu meinem Alltag. Mit 14 wollte ich Koch werden und machte erst mal eine Fleischerausbildung. Im Schlachthof war es schrecklich. Seitdem setze ich mich gegen Massentierhaltung ein. 2014 hat sich alles geändert. Im Urlaub fing ich einen Fisch, plötzlich guckte er mir tief in die Augen, ein fühlendes Wesen – ich konnte ihn nicht töten. Seitdem lebe ich radikal vegan, von Fleisch bis Leder. Gerade habe ich eine Marke für vegane Fleischersatzprodukte gegründet. Inzwischen gebe ich auch Workshops in Schulen und Vereinen zu Veganismus. Aufklärung hat Wirkung. Die Kantine einer Brennpunktschule, an der ich vor einem halben Jahr war, bietet nun vegane Produkte an und verkauft 30 Prozent mehr vegetarische Gerichte. Meine Zukunftsvision: Es gibt keine Tierhaltung mehr, auch keine Haustiere, Landwirtschaft ist pflanzenbasiert. Übergangsweise ist eine offene Tierhaltung erlaubt, aber nur, wenn die Betriebe selbst Futtermittel produzieren und Gülle entsorgen können. So weit sind wir noch nicht. Doch Verbote würden nur dazu führen, dass die Kriminalität steigt und Tiere noch grausamer geschlachtet werden. Das Umdenken muss bei uns anfangen.“

JA, aber … „nur mit fairer Haltung“

Milena Burri, Nutztierethnologin am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), Schweiz

„Für mich ist es kein großer Unterschied, ob ich Fleisch, Eier, Milch oder Käse esse. Auch Kühe werden getötet, wenn sie keine Milch mehr geben. Entscheidend ist, wie hergestellt wird, was später auf unseren Tellern liegt. Haben die Tiere genug Platz und artgerechtes Futter? Wird gut mit ihnen umgegangen? Stehen sie regelmäßig auf der Weide? Werden Gruppentiere in Gemeinschaft gehalten? Ich esse nur Fleisch von Landwirt:innen, die ich kenne. Ich forsche nicht nur zur Tierhaltung, sondern arbeite auch auf Höfen. Deshalb habe ich ein großes Netzwerk und weiß, wo ich Produkte von gut gehaltenen Tieren bekomme. Zur guten Haltung gehört für mich Schlachtung ohne Leid. Weideschuss oder zum Beispiel Hoftötung. Einzelne Tiere werden am Fressgitter getötet. Bolzenschuss, Bruststich, ausbluten. Der Stresspegel dieser Tiere ist um ein Vielfaches

Nein, außer … „niedrig entwickelte Tiere“

Ursula Wolf, Seniorprofessorin für Philosophie an der Universität Mannheim

„Nach meiner Position besteht das Grundprinzip der Moral in dem Verbot, anderen Wesen Leiden zuzufügen. In der industriellen Produktion leiden Tiere unter den Bedingungen der Haltung, des Transports, der Schlachtung. Man kann also heute höchstens Fleisch von Tieren essen, die unter Rücksicht auf ihr Wohl gehalten und ohne Schmerzen, Angst und Stress auf dem Hof getötet werden. Das Essen von Wild halte ich für bedenklich, weil es keine absolute Garantie gibt, dass der Schuss sofort zum Tod führt. Hingegen esse ich Tiere, die sehr einfach gebaut sind, die kein Zentralnervensystem haben, wie Muscheln. Denn hier gibt es kein Subjekt, das leidet. Nun kann man aber fragen, ob das Töten von Tieren moralisch zulässig ist. Eher nicht bei sehr hoch entwickelten Tiere, die eine Vorstufe von Selbstbewusstsein haben, wie Primaten oder Delfine. Auch von Schweinen sagt man, dass sie Todesangst empfinden können. Und muss man nicht allen Tieren ein Interesse zuschreiben, weiterzuexistieren? Da ich das Verbot der Leidenszufügung ins Zentrum stelle, muss aber nicht nur ein faktisches, sondern ein subjektiv empfundenes Zukunftsinteresse vorliegen, und das haben nur sehr hoch entwickelte Tiere. Da mir am Wohl der Tiere liegt, esse ich allgemein keine Tiere, die ein subjektives Wohl haben, aber das kann ich nicht begründen, sondern es ergibt sich aus meiner positiven Beziehung zu Tieren.“

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