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Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht – heißt es in einem Theaterstück von Bertolt Brecht. Das stimmt nicht ganz: er trägt sie nämlich am ganzen Körper. Bei kleinen Haien sind es tausende, beim weißen Hai Millionen von kleinen Hautzähnchen, die so genannten Placoidschuppen, die den Fisch umhüllen und so sein Exoskelett bilden. Sie überlappen sich jeweils, wie Dachziegel.
„Streichelt man einem Hai vom Kopf bis zur Schwanzflosse. Fühlt er sich so glatt an, dass man meint, seine Haut für eine Handtasche nutzen zu können“, lacht Albert Yee, emeritierter Professor für Chemie- und Molekulare Biotechnologie an der University of California. Andersrum gestreichelt, sei sie so rau wie Schmirgelpapier, nicht empfehlenswert. Wir haben es nicht selbst überprüft, aber Yee wird es wissen – er forscht seit Jahrzehnten zu naturinspirierten Oberflächen.
Bei vielen Haiarten sind die Hautzähnchen Richtung Schwanzflosse gebogen und enden mit einer scharfen Spitze – daher die Rauheit. Durch die gebogene Struktur entstehen Hohlräume, in denen das Wasser ganz nah am Körper zirkulieren kann, wie winzige Wirbelstürme. Das verringert den Widerstand und lässt den Hai besonders schnell schwimmen, auch bekannt als Riblet-Effekt, den sich übrigens die Firma Speedo für ihre Badeanzüge zunutze macht. Und der Hai für die Jagd.
Dem Tier, so Yee, bietet diese Hautstruktur noch einen weiteren Vorteil: Bakterien finden wegen der mikroskopisch kleinen Rillen in den Placoidschuppen, die die Haut äußerst uneben macht, keinen Halt. So bleibt der Hai schädlingsfrei, zumindest an seiner Oberfläche – ein klarer Überlebensvorteil.
Lässt sich das Prinzip in Gesundheitseinrichtungen anwenden? In Praxen, Krankenhäusern und Pflegeheim wimmelt es nur so von Keimen. Sie haften an Oberflächen, vermehren sich dort munter weiter und können für Menschen gefährlich werden. Nach einem Bericht der WHO von 2019 sterben jährlich 700.000 Menschen an einer Infektion, die sie sich in einer Gesundheitseinrichtung eingefangen haben, kurz: HAI (Healthcare-Associated Infektion). Ausgerechnet.
Die Waffen gehen aus
Der Grund für die hohe Mortalität durch HAIs: Viele Bakterienstämme sind inzwischen resistent gegen Antibiotika, wie der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA), der etwa Lungenentzündung und Blutvergiftung auslösen kann. Denn Antibiotika töten nicht nur bestimmt Bakterien ab, sondern nehmen anderen dadurch die Konkurrenz, machen sie stärker. „Es ist ein Krieg, in dem uns die Waffen ausgehen“, beschreibt Yee diesen Kreislauf. Mehr resistente Bakterien, mehr HAIs.
Auf den Hai, das Tier, kam Anthony Brennan, als er Anfang der Nullerjahren im Auftrag, der U.S. Navy nach einer Lösung für Algen- und Seepockenbefall von Marineschiffen suchte. Der Materialwissenschaftler fand sie in den Haifischhaut, die als eine der wenigen Fischhäute unbesiedelt ist. So gründete Brennan 2017 Sharklet Technologies und entwickelte eine antibakterielle Folie für Oberflächen nach Hai-Art, die an Land Bakterien bekämpfen können.
Mit mikroskopisch kleinen Rillen, angeordnet in rauten- oder wabenförmigen Strukturen, dreimal kleiner im Durchmesser als ein menschliches Haar. Die Sharklet-Folie lässt sich überall dort anbringen, wo Menschen bakterienfreundlich Oberflächen berühren: Türklinken, Tischplatten, Tastaturen und Toiletten. Die Folie könnte besser wirken als eine chemische Desinfektion der Oberflächen, gegen die viele Bakterien ebenfalls Resistenz sind. Das ist auch der Vorteil von Sharklet gegenüber anderen antibakteriellen Folien, die bereits auf dem Markt sind: die Barriere gegen Bakterien ist rein physisch, nicht chemisch.
Noch wichtiger im Kampf gegen HAIs: Auch medizinische Utensilien lassen sich nach Hersteller Angaben hervorragend mit Sharklet beschichten, zum Beispiel Verbände, Beatmungsschläuche, Venenkatheter oder Blasenkatheter. Letztere sind laut Anthony Brennan besonders relevant: Bis zu 40 % der Infektionen von Patient:innen in einer Gesundheitseinrichtung seien auf bakteriell kontaminierte Blasenkatheter zurückzuführen. Sein Sharklet könne 90 bis 99 % der Oberflächenbakterien reduzieren, allen voran den gefährlichen MRSA.
Bislang wird Sharklet nur auf Yogamatten und Zahnbürstenköpfen genutzt. Für einen medizinischen Einsatz braucht es aber Albert Yees Einschätzung nach noch mehr Wirksamkeitsstudien. Derweil ist es Brennans Unternehmen schon gelungen, die Produktionskosten zu senken. Nun seien sie vergleichbar mit ähnlichen Lösungen. Albert Yee bestätigt: „Man kann günstig viele Quadratmeter davon aus Plastik produzieren.“
Sharklet schätzt, dass die Folien im Schnitt drei Monate halten. Nach Gebrauch sollten sie allerdings nicht im Meer landen, denn gegen Plastikmüll im Meer ist der Hai nicht gewappnet.
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