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Mein Mann und ich sind neulich umgezogen. Im Stadtteil wurde es zu eng, aber es fiel mir nicht leicht, die alte Wohnung zu verlassen. Das lag an dem Balkon mit Hängematte und Morgensonne und dem alten Dielenboden. Aber auch an unseren Nachbar:innen. Nach zehn Jahren in dem Haus waren sie ein fester Bestandteil unseres Lebens: der grummelige Fahrradhändler aus dem Hinterhof, der noch mit Kohle heizt. Die Schauspielerin neben uns, die immer so laut niest. Die begeisterte Hobbygärtnerin unter uns, die sich, wenn wir weg waren, besser um unsere Pflanzen kümmerte als wir. Viele von ihnen sind heute gute Bekannte, manche Freund:innen. Das hat gedauert: Vom „Hallo“ über den Small Talk an der Haustür bis zur ersten Kaffeerunde vergingen Jahre. Wie geht es schneller, haben wir uns gefragt. Und so entsteht die Idee: In unserem neuen Haus laden wir die Nachbar:innen ein. Und zwar alle. Zur Nachbarschaftsparty.
Meine Freund:innen sind geschockt. Echt jetzt? Die Blumen der Nachbarin gießen, im Hausflur einen Plausch halten, klar. Aber direkt das ganze Haus einladen? Dieser Gedanke ist fast allen, denen wir davon erzählt, völlig fremd.
Wir aber tun genau das. Altmodisch machen wir eines Abends die Runde, stellen uns den Nachbar:innen vor, sagen, dass wir sie demnächst mal einladen wollen. Die meisten reagieren freundlich, manche irritiert. Eine will uns die Tür nicht aufmachen, ein anderer verwickelt uns in eine Diskussion über geplante Umbauarbeiten im Haus. Andere sind nicht da, wir klingeln und warten vergebens. In den kommenden Wochen schieben wir die Einladung vor uns her. Wir zweifeln. Was, wenn niemand kommt? Was, wenn wir uns nichts zu sagen haben? Diese Gegend hier ist anders als unser früherer Kiez. Durch unsere alte Straße ziehen nachts die Menschen von Club zu Club, oft laut singend. In der neuen Wohngegend haben die Restaurants Tischdecken, gelegentlich sieht man Frauen im Pelzmantel. Würden wir uns überhaupt mit unseren Nachbar:innen verstehen?
Dann treffen wir eines Tages die Nachbarin aus dem zweiten Stock, die sich an der Tür unkompliziert mit ihrem Spitznamen vorgestellt hat. „Wann kommt denn endlich eure Einladung?“, fragt sie. Also los, wir schreiben einen kurzen Text und drucken drei DIN-A4-Seiten aus, die wir im Hausflur aufhängen. Was wir nicht bedacht haben: Auf einen Aushang bekommt man keine Rückmeldung. Als der Abend bevorsteht, wissen wir nicht, ob 30 Gäste kommen oder niemand. Wir sind nervös.
19 Uhr, die Lehrerin von nebenan ist als Erste da. Immer wieder klingelt es an der Tür, das Pärchen unter uns bringt Käsestangen mit, die Studentin aus dem Erdgeschoss eine Flasche Sekt. Als uns das Bier ausgeht, holt ein Nachbar aus seiner Einzimmerwohnung im dritten Stock Nachschub. Manche leben schon seit vielen Jahren hier, andere sind gerade erst eingezogen. Wir essen und reden, entdecken eine gemeinsame Vorliebe für Craft Beer und trashige Hollywoodfilme und schmieden sofort Pläne für Filmabende im trüben Winter. Alle freuen sich. Sie seien überrascht über die Einladung gewesen, sagen unsere Gäste. Aber jetzt sei es schön, die Bewohner:innen des Hauses kennenzulernen.
Nicht jedes Gespräch verläuft harmonisch: Ein Nachbar kritisiert den Einfluss der EU auf Deutschland – und ich muss an die kleine Europaflagge denken, die im Zimmer nebenan hängt. Man soll mehr aus seiner Bubble herauskommen, heißt es ja immer, und das machen wir an diesem Abend. Themen, die in unserem Freundeskreis unausgesprochener Konsens sind, stehen auf einmal zur Debatte, manchmal prallen gegensätzliche Meinungen aufeinander. Aber die Diskussion bleibt zugewandt. Sicherlich auch, weil wir uns gerade erst kennengelernt haben. Niemand will die ausgelassene Stimmung mit Polemik verderben. Aber da ist noch mehr. Alle scheinen wirklich interessiert, den Standpunkt des anderen zu verstehen. Vielleicht gerade, weil wir nicht so oft Menschen gegenübersitzen, die anders denken als wir selbst.
Ich vermisse den grummeligen Fahrradmann aus meinem alten Haus noch immer. Aber nach diesem Abend fühle ich mich wohler im neuen Zuhause. Wenn ich in der Nacht sehe, dass unter uns noch Licht brennt, weiß ich, dass das der eine Nachbar ist, der immer spät ins Bett geht. Mit der Nachbarin neben uns ist eine schöne Freundschaft entstanden. Als sie neulich im Urlaub war, haben wir auf ihre Katze aufgepasst. Und auch die Sache mit dem Filmabend hat geklappt. Der Winter in Berlin ist schon schlimm genug. Gut, wenn es warm ist im Haus.
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