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Artenschutz aus der Vogelperspektive: Die GAIA-Initiative nutzt Tiersender, KI und Geier zum Schutz vor Seuchen und Wilderei

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17 Dez., 2024

This post was originally published on Reset

Der Tod von Tieren ist ein alltäglicher – und wichtiger – Vorgang in Ökosystemen. Dabei sagt die Todesursache viel darüber aus, was in den Tiergemeinschaften und ihren Lebensräumen vor sich geht. Neben natürlichen Ursachen können die Todesfälle auch darauf hinweisen, dass eine Wildtierkrankheit ausgebrochen ist, sich Umweltgifte verbreitet haben oder Tiere illegal getötet wurden. Und in all diesen Fällen ist es enorm hilfreich, wenn frühzeitig Warnungen an den entsprechenden Stellen eingehen. Doch wie erhält man zuverlässig Informationen über Todesfälle im Tierreich? Die GAIA-Initiative ist hier auf den Geier gekommen.

Wer könnte mehr über den Tod wissen als ein Aasfresser, der ständig auf der Suche nach Kadavern ist? Geier verfügen über einen herausragenden Sehsinn und eine ausgefeilte Kommunikation, sodass sie gemeinsam mit ihren Artgenossen zuverlässig und schnell Kadaver aufspüren und so große Landstriche „überwachen“.


Weißrückengeier bei einem Kadaver.



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Jan Zwilling/ GAIA-Initiative



Weißrücken-Geier und ein Schakal haben einen Kadaver entdeckt.

Daher statten die Forschenden im Projekt GAIA afrikanische Weißrückengeier mit einem speziellen Sender aus, der mit einer Kamera Aufnahmen aus der Sicht der Geier macht. Direkt auf dem Sender läuft ein KI-Algorithmus, der die Bewegungsdaten auswertet. Die Forschenden ordnen diese Daten ein und erhalten so nahezu in Echtzeit aus der Ferne Informationen über das Verhalten der Tiere und den Zustand der Umwelt. „Wir nennen dieses Konzept daher i³ – die Verbindung von drei Intelligenzen. Tierische, künstliche und menschliche Intelligenz“, sagt Jan Zwilling, mit dem RESET kurz nach seiner Rückkehr aus Uganda sprach. Zwilling ist für das Leibniz-IZW an dem Projekt beteiligt, weitere Projektpartner sind das Fraunhofer IIS, die Rapid Cubes GmbH und der Zoo Berlin.

Die mithilfe der Geier gewonnenen Informationen haben einen praktischen Nutzen für den Umweltschutz und die Umweltforschung. Mit dem Frühwarnsystem können schnell Probleme erkannt und Maßnahmen eingeleitet werden, wie zum Beispiel einen Nationalpark auf den Ausbruch einer Wildtierkrankheit zu prüfen. Gleichzeitig sind die Informationen eine wichtige Datenbasis für die Erforschung der Ökosysteme.


Geier mit Sender.



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Jon A. Juarez/ GAIA-Initiative



Ein Weißrücken-Geier wird mit einem Sender ausgestattet.

Herausforderungen bei der Entwicklung eines Senders vom Gewicht einer Schokoladentafel

Im November 2024 konnte das Team nach dreijähriger Entwicklungszeit einen Prototypen des Senders an Geiern in Uganda testen. Der Weg dahin war nicht ganz leicht.

Da die Sender für Geier mehr Funktionen als die am Markt verfügbaren benötigen, galt es technische Hürden zu überwinden. Eine zentrale Herausforderung bei der Entwicklung der Sender war zudem die Miniaturisierung der Technik. Um die Tiere nicht unnötig zu belasten, gibt es eine strikte Obergrenze für das Gesamtgewicht des Senders. „In das Gewicht einer Tafel Schokolade muss alles hineinpassen: das Gehäuse, die Linse, der Sensor der Kamera, der Akku, ein Solarpanel und die Mikroprozessoren, die die Berechnungen der künstlichen Intelligenz durchführen“, berichtet Dr. Jörg Melzheimer, Projektleiter der GAIA-Initiative im Leibniz-IZW. Dadurch ist die Rechenleistung begrenzt und die KI muss schlank genug sein, um auf dem Sender laufen zu können. „Das ist alles andere als trivial, denn dadurch steht nur ein Bruchteil der Rechenleistung eines PCs oder Smartphones zur Verfügung.“

Außerdem mussten zwei sehr unterschiedliche Disziplinen – auf der einen Seite Ingenieur:innen und Techniker:innen, auf der anderen Seite Wildtierbiolog:innen und Veterinärmediziner:innen – zusammengebracht werden und ein gemeinsames Verständnis für die Projektarbeit entwickeln. „Nur gemeinsam, als technikaffine Biolog:innen und mittlerweile Geier-kundige Ingenieur:innen, konnten wir überhaupt so weit kommen“, berichtet Melzheimer.


Forschende der GAIA-Initiative.



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Jon A. Juarez/ GAIA-Initiative



Daten-Wissenschaftler:innen und Biolog:innen haben zusammen an dem Projekt gearbeitet.

Reality Check an wilden Aasfressern

Zudem musste die Technik einen harten Realitätscheck überstehen, denn zwischen den Laborbedingungen und dem Dauereinsatz an wilden Aasfressern liegen Welten. Unterwegs mit den afrikanischen Geiern sind die Sender extremer Sonneneinstrahlung genauso wie Starkregen ausgesetzt. Und die Tiere verhalten sich unberechenbar, sodass zum Beispiel die Kamera stärker verdreckt wurde als gedacht. Dazu kommt, dass auch die Funkinfrastruktur nicht immer zuverlässig ist. Das macht es oft schwierig, die Sender zu lokalisieren. „Dies sind nur kleine Beispiele dafür, dass es an unendlich vielen Details liegen kann, dass ein mit bestem Wissen und größtmöglicher Umsicht entworfener Sender in der Realität noch nicht einwandfrei seinen Dienst erfüllt“, sagt Jan Zwilling.

Doch dass das System funktioniert, konnten das Team der GAIA-Initiative in ersten Tests bestätigen. Die Erkennung von Kadavern gelingt bereits mit einer Trefferquote von 92 Prozent und ist damit sehr genau.

Schnell nach der Etablierung des Systems in Namibia konnten in Partnerschaft mit anderen Organisationen auch in weiteren afrikanischen Ländern wie Mosambik, Sambia und Uganda Geier mit Sendern ausgestattet und Frühwarnsysteme etabliert werden.


Forschende tracken die Sender der Geier.



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Jan Zwilling/ GAIA-Initiative



Vor Ort wird der Prototyp des Senders getrackt.

Mit neuen Erkenntnissen Geier besser schützen

Die GAIA-Initiative hat bislang mehr als 130 Geier mit Sendern ausgestattet. Die Arbeit der Forschungsgruppe geht dabei über die Etablierung eines Frühwarnsystems hinaus. Gleichzeitig werden auch neue Erkenntnisse über die vom Aussterben bedrohten Vögel gewonnen.

In den letzten Jahrzehnten sind die Bestände vieler Geierarten stark zurückgegangen. Die Hauptursachen dafür sind der Verlust von Lebensraum und Nahrung in vom Menschen geprägten Landschaften. Dazu kommt eine hohe Anzahl direkter oder indirekter Vergiftungen. Der Bestand des Weißrückengeiers ist beispielsweise innerhalb von nur drei Generationen um etwa 90 Prozent zurückgegangen.

„Aufgrund ihrer ökologischen Bedeutung und ihres raschen Rückgangs ist es notwendig, unser Wissen über und Verständnis von Geiern deutlich zu verbessern, um sie besser schützen zu können“, sagt Dr. Ortwin Aschenborn, GAIA-Projektleiter im Leibniz-IZW. „Unsere Forschungen mithilfe KI-basierter Analysemethoden geben uns nicht nur neuartige Einblicke in Ökosysteme, sie werden auch unser Wissen darüber erweitern, wie Geier kommunizieren, interagieren und kooperieren, nach Nahrung suchen, Junge ausbrüten und aufziehen und wie sie Wissen von einer Generation an die nächste weitergeben.“

„Berichten“ uns Raben demnächst von Tierseuchen?

Was die Forschenden der GAIA-Initiative als Blaupause mit Geiern in Afrika entwickelt haben, ist durchaus auf Tiere in Europa übertragbar. Auch Rabenvögel und Greifvögel ernähren sich – zumindest teilweise – von Aas. Das macht sie ebenfalls zu zuverlässigen Anzeigern von Tierkadavern. „Eine KI für Raben haben wir bereits sehr weit entwickelt und können schon mit großer Genauigkeit das Verhalten der Vögel klassifizieren und damit Verdachtsstellen für Kadaver benennen“, sagt Melzheimer.

Eingesetzt werden könnte die Technik hier beispielsweise für ein Monitoring der Afrikanischen Schweinepest in Deutschland. „Die Raben ‚patrouillieren‘ die Wälder und zeigen tote Wildschweine mit enormer Zuverlässigkeit und Effizienz an.“ Die mithilfe der KI verarbeiteten Informationen könnten dann lokale Ausbrüche erkennen, direkt an zuständige Behörden geleitet werden und ein Monitoring der Tierseuche mit vergleichsweise geringem Aufwand ermöglichen. Laut Melzheimer sind die ersten Schritte gemacht, implementiert worden sei ein solches System allerdings noch nicht.

See-Elefant mit Sender.

Tier-Tracking in der Umweltforschung

Auch andere Projekte setzen auf das Monitoring mithilfe von Tiersendern. So haben Forschende zum Beispiel festgestellt, dass das Tracking von Schildkröten zuverlässiger zu Seegraswiesen führt als Satellitenbilder. Und das Global Ocean Observing System (GOOS) setzt auf die Unterstützung von See-Elefanten, um neue Erkenntnisse über die Bedingungen im antarktischen Ozean zu gewinnen. Da die Säugetiere mehrmals am Tag bis zu 2000 Meter tief tauchen, erhalten die Forschenden ohne teure Tauchboote oder Forschungsschiffe einen noch nie da gewesenen Zugang in den Ozean. Mehr dazu hier: Wie tierische Experten der Ozeane bei der antarktischen Klimaforschung helfen

Die GAIA-Initiative hat noch einiges vor

Das Team war von der großen Resonanz auf das Projekt überrascht. Neben den Partnerschaften mit verschiedenen Organisationen konnte das Projektteam in den vergangen zwei Jahren intensive Beziehungen zu Bundestagsabgeordneten, Ministerien und Beauftragten wie der Koordinatorin der Bundesregierung für die Deutsche Luft- und Raumfahrt aufbauen. „Der Bundestagsausschuss für Umwelt kam uns sogar in Namibia besuchen. Das zeigt uns, dass wir da offenbar auch bei der Politik einen Nerv getroffen haben und das Potenzial von modernen Herangehensweisen in der Wildtierforschung und im Artenschutz gesehen wird“, so Zwilling.

Nichtsdestotrotz laufen die beiden Kernprojekte der GAIA-Initiative zum Jahresende 2024 aus. Doch das Team ist mit seiner Projektarbeit noch nicht am Ende. Der Prototyp des Senders soll weiterentwickelt und eine Satellitenkommunikations-Komponente des Systems realisiert werden. Und dann ist noch die Übertragung auf andere Tierarten, Ökosysteme und Fragestellungen offen.


Der Blick von oben aus Geier-Perspektive.



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Jon A. Juarez/ GAIA-Initiative



Der Blick von oben aus Geier-Perspektive.

Die Förderanträge dafür liegen bereits bei verschiedenen Fördermittelgebern auf dem Tisch. Für den direkten Anschluss der Finanzierung sah es auch lange sehr gut aus, berichtet Jan Zwilling. Doch seit dem 6. November 2024 seien Finanzierungen aus Bundesmitteln etwas schwierig und das Projekt liege auf Eis. „Wir hoffen natürlich, dass sich im nächsten Jahr eine neue Perspektive auch auf Bundesebene ergibt. Bis dahin müssen wir stärker auf Unterstützung von NGOs oder der Privatwirtschaft setzen, um die Arbeit zumindest eingeschränkt fortsetzen zu können.“

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