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Verspätungen haben bei der Deutschen Bahn fast schon Meme-Charakter. Wer häufig mit deutschen Zügen unterwegs ist, wartet nach dem Einsteigen schon fast darauf, irgendeine Verspätungsdurchsage zu hören. Während verspätetes Ankommen beim Autofahren deutlich mehr toleriert wird – in Deutschland gab es im Jahr 2023 stolze 877.000 Kilometer an Staus – sind späte Züge für viele der beste Grund für das Auto und gegen den Nah- und Fernverkehr. Der Dienst Bahnvorhersage.de möchte Nutzer:innen daher dabei unterstützen, zuverlässige Verbindungen zu finden.
Das Projekt zweier Studenten aus Tübingen verwendet ein KI-Modell, das auf etwa 700 GB an Verbindungsdaten trainiert wurde. Das System kann Reisenden so die Wahrscheinlichkeit vorhersagen, mit der sie einen oder mehrere Anschlüsse erreichen. Wie Theo Döllmann im Rahmen des Hacker-Congresses 38C3 erklärt, stimmen die Vorhersagen durchaus mit den echten Verspätungen der Bahn überein.
So funktioniert die Plattform
Für Anwender:innen steht Bahnvohersage.de als kostenloses Tool im Internet zur Verfügung. Die Eingabemaske haben die Entwickler dabei von der Deutschen Bahn übernommen. Wir können also wie gewohnt Startbahnhof, Zielbahnhof und Uhrzeit eingeben. Zusätzlich können wir die Suche auf den Nahverkehr und auf Züge mit Möglichkeit zur Fahrradmitnahme einschränken. So weit, so bekannt!
Bahnvorhersage.de zeigt genau die Verbindungen an, die man im DB Navigator findet. Als zusätzliche Informationen blenden die Entwickler aber Wahrscheinlichkeiten zum Erreichen der benötigten Umstiege ein.
Für die Fahrt vom Berliner Hauptbahnhof nach Eisenhüttenstadt gibt es zu unserem gewählten Zeitpunkt etwa eine Verbindung mit einem Umstieg, die 1h und 46m dauert. Hier beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass alle Anschlüsse erreicht werden, 95 Prozent. Die nächst-spätere Verbindung wird vom System mit 50 Prozent bewertet. Ein Regionalzug, den wir von Erkner nehmen müssen, erreicht Frankfurt (Oder) regelmäßig mit einigen Minuten Verspätung. Da die Umstiegszeit aber nur fünf Minuten beträgt, ist es recht sicher, dass wir hier stecken bleiben.
Die entwickelte KI bezieht für ihre Berechnungen mehrere Faktoren ein. Neben der Uhrzeit und dem Zugtyp sind es laut Theo Döllmann auch die bereits gefahrene Strecke und der Zeitpunkt der Prognose, die für die Auswertung wichtig sind. Aus diesen Faktoren berechnet das Modell einen Transfer-Score, der ausreichend präzise mit den tatsächlich erhobenen Verspätungsdaten der Deutschen Bahn übereinstimmt.
Aber zurück zu unserem Beispiel: Es wäre ratsam, in diesem Falle ein wenig früher loszufahren. Denn über die erste Verbindung kommen wir mit einer Wahrscheinlichkeit von 93 Prozent rechtzeitig an. Zugegeben hätten erfahrene Bahnreisende hier ohnehin die Strecke mit weniger Umstiegen gewählt. Gerade bei längeren Bahnfahrten, die man bisher noch nicht gefahren ist, ist das System aber eine gute Hilfe. Vor allem Fernreisezüge in andere Länder lassen sich mit digitalen Hilfsmitteln deutlich besser buchen.
Offener Datensatz ermöglicht weitere Analysen
Einen weiteren Mehrwert hat das Projekt von Theo Döllmann und Marius De Kuthy Meurers aber aufgrund der Art und Weise, wie sie mit den erhobenen Daten umgehen. Die eine Milliarde Verbindungen, die sie zur Auswertung gesammelt haben, machen sie nach Open-Data-Prinzip frei zugänglich. Theo Döllmann veranschaulicht in seinem Vortrag dabei sehr gut, welches Potenzial dahinter steckt.
Die Strecke der Riedbahn zwischen Mannheim nach Frankfurt wurde im Jahr 2024 kernsaniert. „Also dass man quasi in einem kurzen Zeitraum alles dort neu macht. Alle Weichen, Schienen, Stellwerke austauscht“, resümiert Döllmann in seinem Vortrag. Anhand der Daten zeigt er dabei, dass die Riedbahn vor ihrer Sanierung besonders viele Verspätungen aufweist. Während der Sanierung fuhren auf der Strecke keine Züge, die Bahn richtete einen Ersatzverkehr mit Bussen ein.
Die Pünktlichkeit der Züge in umliegenden Bahnhöfen beeinflussten die Sanierungsmaßnahmen nicht sonderlich negativ. „Obwohl Züge auf diese beiden Nebenstrecken […] umgeleitet wurden, scheint dort der Bahnverkehr nicht drastisch schlechter gewesen zu sein.“ Es lohne sich daher durchaus, die Strecken der Bahn zu sanieren – auch wenn Döllmann in seinem Vortrag vergisst, die Zuverlässigkeit nach der Sanierung zu zeigen.
Der öffentliche Zugverkehr ist ein wichtiger Teil der Mobilitätswende in Deutschland. Er kann das noch immer zu autoverliebte Deutschland zu weniger Verkehrstoten führen und ausgestoßene Emissionen deutlich verringern. Dass Völlmann und De Kuthy Meurers die Daten frei verfügbar machen, erlaubt es politischen Parteien, Organisationen und Vereinen also, Argumente für die Sanierung und den Ausbau des Streckennetzes zu formulieren und zu veranschaulichen.
Ähnlich macht es auch der Verein CorrelAid. Er hilft Organisationen und Institutionen aus der Zivilgesellschaft dabei, sich mit ehrenamtlichen Data-Scientists zu vernetzen. Erhobene Daten stehen auch hier frei zur Verfügung – Akteur:innen können sie bereits aufbereitet und vor allem kostenfrei nutzen.
Bahnvorhersage sucht nach Feedback für neue Funktion
Aktuell bietet Bahnvorhersage.de eine neue Funktion als Alpha-Test an. Über die Top-Navigation des Dienstes können Interessierte Alternativen zu ihren Verbindungen im Voraus finden. Die Plattform will diese bei der Suche gleich mit anbieten. Dafür möchte man von der Verbindungssuche der Bahn abweichen und sie mit einem eigenen System ersetzen.
Zwar sei der Dienst aktuell noch nicht zuverlässig, das Feedback helfe den Entwicklern aber dabei, Fehler zu finden. Wer mag, kann den Dienst also aktuell noch testen und das Projekt so unterstützen. Das Feedback erfolgt dabei über eine Projektseite beim Anbieter GitLab.
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