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Die drastische Reduzierung unserer CO2-Emissionen ist die wichtigste Strategie gegen den menschengemachten Klimawandel. Ab einem bestimmten Datum können wir es uns schlichtweg nicht mehr leisten, Treibhausgase durch Industrie, Lebensmittelversorgung, Infrastruktur und Co. in die Luft auszustoßen. Allerdings ist es gänzlich unrealistisch, dass wir auf der ganzen Welt gar keine Treibhausgase wie Kohlenstoffdioxid mehr ausstoßen. Forschende und Expert:innen sprechen daher von Netto-Null-Emissionen, die es zu erreichen gilt.
„Netto-Null“ bedeutet in diesem Falle, dass wir verursachte CO2-Emissionen durch verschiedene Maßnahmen kompensieren müssen. Die Europäische Union hat etwa im Juni 2024 den Net-Zero Industry Act beschlossen, der eine Dekarbonisierung und dazugehörige Technologien als wichtiges Ziel für die Industrie der Zukunft sieht.
Die EU-Komission hat die Größenordnung der benötigten CO2-Kompensation aber schon im Jahr 2018 recht konkret formuliert: „Das EU-Ziel der Klimaneutralität bis 2050 lässt sich nur erreichen, wenn zur Mitte des Jahrhunderts mehrere Hundert Millionen Tonnen CO2 industriell abgeschieden und dann entweder gespeichert oder weiterverwendet werden“, formuliert Dr. Oliver Geden, Leiter des Forschungsclusters Klimapolitik, Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Kurz gesagt: Wir brauchen dringend effektivere Technologien zur Dekarbonisierung. Forscher:innen der Universität von Palermo und des Projekts „Two Frontiers“ haben hierfür nun einen kuriosen Verbündeten gefunden.
Chonkus veranschaulicht das Potenzial von Cyanobakterien
Technologien, mit denen wir CO2 aus der Athmosphäre ziehen und binden können, gibt es schon lange. Das wohl gängigste Beispiel sind Aufforstungsprojekte, mit denen wir systematisch neue Wälder pflanzen. Sie werden in der Wirtschaft gerne für den CO2-Ausgleich angeboten, sind aber mitunter weniger sinnvoll. Denn sie können zwar durchaus die Konzentration von Kohlenstoffdioxid in der Athmosphäre reduzieren. Bäume wachsen aber recht langsam und dementsprechend wirken derartige Projekte stark zeitverzögert. Monokulturen und weitere falsche Entscheidungen führen zudem dazu, dass Wälder unser CO2-Problem mitunter noch weiter verstärken. Die Bundeswaldinventur zeigte im Jahr 2024 etwa, dass der deutsche Wald inzwischen sogar zu einer CO2-Quelle geworden ist. Er produziert also CO2 statt das Treibhausgas zu binden.
Alternativ zu Programmen zur Aufforstung lässt sich CO2 auch in Form von Pflanzenkohle zwischenlagern oder über industrielle Anlagen filtern. Eine Übersicht über Möglichkeiten zur Dekarbonisierung findet Ihr im verlinkten RESET-Hintergrundartikel. In der Natur gibt es allerdings Organismen, die Kohlenstoffdioxid durch Photosynthese besonders gut binden können. Und diese Organismen – Cyanobakterien – sind noch zum Großteil unerforscht.
Mit dem Bakterium UTEX 3222 haben Forschende vor der Küste Siziliens nun ein besonders effizientes Cyanobakterium entdeckt. Entdeckt wurde Chonkus in Umgebungen, in denen überdurchschnittlich viel CO2 im Wasser gelöst vorkommt. Aufgrund seiner dickflüssigen Konsistenz und seiner schnellen Vermehrung in Reagenzgläsern tauften es die Forschenden auf den Namen „Chonkus“. Die dickflüssige Konsistenz ist laut den Forschenden ein großer Vorteil für den Einsatz in Bioreaktoren, die sich wiederum industriell für die Dekarbonisierung einsetzen lassen.
Warum ist UTEX 3222 so interessant?
Braden Tierney und Sam Schubert, die Entdecker von UTEX 3222, haben das Bakterium in Laborproben isolieren können. Gegenüber SciTechNews äußerte Braden Tierney, dass „mehrere Eigenschaften, die wir bei Chonkus beobachten konnten, sowohl in seiner natürlichen Umgebung als auch für uns Menschen nützlich sind.“ Darunter eben das hohe Potenzial, Kohlenstoffdioxid zu binden.
Bei diesem Prozess wächst Chonkus stark an und sinkt als „erdnussbutterartige“ Masse zu Boden. Als „grüne Erdnussbutter“, so beschreiben es die Forschenden, setzt sich Chonkus also ab und lässt sich so vergleichsweise einfach aus Reagenzgläsern oder eben Bioreaktoren entnehmen.
Durch diese Eigenschaft ließen sich die Kosten bei einem industriellen Einsatz um rund 15 bis 30 Prozent senken. Andere Cyanobakterien müsste man durch industrielle Prozesse konzentrieren und trocknen – UTEX 3222 nimmt einem diese Aufgabe also schon zu großen Teilen ab.
Da das Bakterium allerdings von Natur aus in Gewässsern vorkommt, die durch vulkanische Aktivitäten stark erwärmt sind, mussten die Forschenden diese Bedingungen im Labor nachbilden. Dieser Prozess ist energieaufwändig und das könnte beim Einsatz als Dekarbonisator problematisch werden. Darüber hinaus bindet Chonkus Kohlenstoffdioxid im Wasser und nicht in der Luft – wir können es also aktuell noch nicht in Filteranlagen oder anderen Dekarbonisierungsprogrammen einsetzen.
Two Frontiers erforscht noch weitere Gebiete
Bioreaktoren für die Dekarbonisierung mit UTEX 3222 auszustatten, ist laut den Forschenden aber ohnehin nur ein potenzieller Einsatzzweck. Algen werden in der Industrie etwa für die Extraktion von Omega-3-Fettsäuren verwendet oder produzieren „Spirulina“, das dann als Superfood seinen Weg in den Supermarkt findet. Lebensmittelexpert:innen sehen in Algen ein wichtiges Nahrungsmittel für eine nachhaltige Zukunft. Da sie sowohl Omega-Fettsäuren als auch Vitamin B12 enthalten, sind sie eine sinnvolle Nahrungsergänzung bei einer veganen Ernährung – und somit der umweltfreundlichsten Ernährungsform.
Mit seinem kuriosen Spitznamen ist UTEX 3222 aber auch ein guter Advokat dafür, das Potenzial von Cyanobakterien weiter zu erforschen. Das Projekt Two Frontiers konnte seine Forschung bereits auf weitere Standorte ausweiten. Neben Sizilien gibt es Projekte in Colorado und im tyrrhenischen Meer. Denn dort gibt es ebenfalls Gewässer mit einer hohen Konzentration an Kohlenstoffdioxid. Und zu erforschen, wie die Natur mit hohen Mengen des problematischen Treibhausgases umgeht, könnte der Schlüssel dafür sein, wie wir es auch tun sollten.
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